Update ISO 37001: Ein Blick auf den weltweiten Standard für Managementsysteme zur Korruptionsbekämpfung – Ein Interview mit Antikorruptionsexperte Jean-Pierre Mean
27.05.2020 von Chris Schneider
Durch COVID-19 stehen Volkswirtschaften und Gesundheitsversorgungssysteme weltweit unter Druck. Die Reaktionen von Regierungen und Unternehmen auf die Krise werden genau beobachtet. Jene, die kein ethisch einwandfreies und integres Verhalten an den Tag legen, werden dafür in den Medien kritisiert. Diese Akteure riskieren, das Vertrauen von Kunden, Mitarbeitern und Dritten zu verlieren, und laufen schließlich Gefahr, ihre geschäftlichen Aktivitäten einstellen zu müssen. Die 2016 veröffentlichte weltweite Norm ISO 37001 ermöglicht Unternehmen, ethisch einwandfreies und integres Verhalten zu zeigen, indem sie sich zur Bekämpfung von Bestechung und Korruption verpflichten. Wir haben darüber mit Jean-Pierre Mean, einem auf Korruptionsbekämpfung spezialisierten Anwalt, der bei der Entwicklung und Umsetzung der Norm eine tragende Rolle gespielt hat, gesprochen.
Welche Aufgaben hatten Sie bei der Entwicklung der ISO 37001?
Mean: Ich arbeite mit der deutschen Akkreditierungsstelle zusammen und nehme an Begutachtungen im Rahmen von Akkreditierungsverfahren teil. Dabei wird beurteilt, ob eine Organisation eine Akkreditierung erhalten soll. Dazu zählt eine Prüfung der Organisationsstruktur, der Methoden zur Gewährleistung der Vertraulichkeit, der Unparteilichkeit und dergleichen. Wenn eine Organisation diese Begutachtung besteht, folgt ein Witness Audit. Ich nehme an beiden Verfahren als Experte für Korruptionsbekämpfung gemeinsam mit einem Begutachter der Akkreditierungsstelle teil.
Ich bin außerdem Vorsitzender einer Arbeitsgruppe des technischen Komitees der ISO im Bereich Governance, das sich mit Managementsystemen zur Bestechungsbekämpfung beschäftigt. Alle ISO-Normen werden nach fünf Jahren überprüft, wir beginnen jedoch schon jetzt mit der Vorbereitung dieser Überprüfung, die eigentlich erst 2021 fällig ist.
Wie wurde die ISO 37001 von Unternehmen angenommen?
Mean: Weltweit gibt es großes Interesse. Rund 300 Zertifizierungen wurden von akkreditierten Zertifizierungsstellen erteilt und noch mehr von nicht akkreditierten Zertifizierungsstellen. Zu den größten zertifizierten Unternehmen zählen UBS mit einer weltweiten Zertifizierung und zwei Unternehmen von Microsoft, die in Rumänien beziehungsweise Ungarn zertifiziert sind. Die Unternehmen, mit deren Zertifizierung ich zu tun hatte, haben erkannt, dass es sich bei den von der Norm gestellten Anforderungen tatsächlich um bewährte Praktiken handelt. In keinem Unternehmen war man der Meinung, dass die Anforderungen nicht zu erfüllen seien.
Warum lassen sich Unternehmen zertifizieren?
Mean: Es gibt unterschiedliche Gründe. Einige Unternehmen hatten Probleme mit Korruption und möchten ein robustes System zur Korruptionsbekämpfung haben – sowohl für sich selbst, als auch, um nach außen zu belegen, dass das Unternehmen geeignete Maßnahmen getroffen hat.
Ein weiterer Grund ist, dass bestimmte Organisationen oder sogar öffentliche Verwaltungen von Unternehmen eine Zertifizierung verlangen. Einige afrikanische Länder wollten ihre Finanzressorts zertifizieren lassen, um zu demonstrieren, dass sie nicht so korrupt sind, wie alle denken. Die Zentralbank von Marokko wollte ihren Partnern und den Regierungen anderer Länder zeigen, dass sie anspruchsvolle Korruptionsbekämpfungsmaßnahmen umsetzt.
Bei der Vergabe öffentlicher Aufträge verlangen einige Regierungen von Unternehmen bereits eine Zertifizierung oder werden dies in Zukunft tun. In Malaysia gibt es aus diesem Grund sehr viele Zertifizierungen. Malaysia befindet sich gerade inmitten eines riesigen Korruptionsskandals, in den der ehemalige Premierminister verwickelt ist. Daraus ist eine richtige Antikorruptionsbewegung entstanden.
Erzählen Sie uns mehr über die Größe der Unternehmen, die eine Zertifizierung anstreben, und über die Branchen und Regionen, aus denen diese kommen.
Mean: Ich hatte mit Unternehmen ganz unterschiedlicher Größe zu tun – von riesigen Firmen wie UBS oder Microsoft bis zu wesentlich kleineren, beispielsweise aus der IT-Branche. Alle großen Unternehmen, die international tätig sind, sollten eine Zertifizierung anstreben, insbesondere wenn sie mit öffentlichen Verwaltungen in Kontakt kommen. Ich habe aber auch ein sehr gutes Verfahren für ein IT-Unternehmen gesehen, obwohl dieses keinem großen Korruptionsrisiko ausgesetzt ist. Es gab einige Unternehmen aus Europa und Nordamerika sowie großes Interesse aus Malaysia.
Hat die Umsetzung der Norm Vorteile für die Unternehmen gebracht?
Mean: Das kann man jetzt noch nicht beurteilen. Ich denke, dass jene Unternehmen, deren Zertifizierung ich verfolgt habe, mit der Norm zufrieden sind. In einem Fall gab es Spannungen, weil ein Unternehmen seinen Marketing-Chef zum Antikorruptionsbeauftragten ernannt hat. Bei einer mit der Kundengewinnung beschäftigten Person besteht eine größere Anfälligkeit, bei Korruption ein Auge zuzudrücken, weshalb wir eine Zertifizierung zunächst abgelehnt haben. Zuerst war man damit nicht glücklich, hat dann aber die Meinung eines Professors eingeholt, der bestätigt hat, dass unsere Ansicht durchaus richtig ist. Das Unternehmen hat das akzeptiert und es war eine wichtige Entscheidung, die nicht getroffen worden wäre, wenn es diesen Prozess nicht durchlaufen hätte.
Wurde einem Bewerber schon einmal eine Zertifizierung verweigert?
Mean: Ich habe einen solchen Fall erlebt. Es handelte sich dabei um eine Stadt und die umgebende Region, die um eine Zertifizierung angesucht haben. Es gab Schwierigkeiten, weil es sich hier um Politik handelt. Korruption war nicht das Problem, sondern die Umsetzung der Maßnahmen in einer politischen Körperschaft. Es muss einen Antikorruptionsbeauftragten mit gewissen Befugnissen geben. Das ist in einem politisch strukturierten Umfeld problematisch, weil sich die Frage stellt, wem diese Person unterstellt ist.
Wenn wir die Bekämpfung von Bestechung und Korruption etwas allgemeiner betrachten – wie wirken sich die jüngsten Antikorruptionsgesetze Ihrer Meinung nach aus?
Mean: Sapin II hat die politische Landschaft in Frankreich verändert. Der Grund für Sapin II war, dass französische Unternehmen in den USA strafrechtlich verfolgt wurden. Die Franzosen waren deshalb der Meinung, es sei besser, ein eigenes System zu haben. So konnten sie den Amerikanern im Falle einer beabsichtigen Strafverfolgung eines französischen Unternehmens sagen: „Wir machen das selbst.“ Ich denke, Sapin II hat Wirkung gezeigt.
Und in einem umfassenderen Sinne?
Mean: Der Ursprung aller Antikorruptionsbewegungen ist die OECD-Konvention, die 1997 zur Unterzeichnung aufgelegt wurde und die jetzt einer Revision unterzogen wird. Im Jahr 2000 gab es keine Bestechungsfälle, jetzt gibt es aber diese riesigen Fälle wie die „Operation Autowäsche“ um den Ölkonzern Petrobras in Brasilien. Das ist wirklich ein Umbruch. Und dieser betrifft nicht nur Brasilien, sondern auch Peru, Argentinien und ganz Südamerika. Ich bin der Meinung, dass sich die geschäftlichen Aktivitäten von Unternehmen einfach grundlegend verändert haben und sich auch das gesellschaftliche Klima geändert hat. In den letzten Jahren konnten wir beobachten, dass in vielen Ländern Korruption ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist.
Sogar in China gab es großes Interesse an der Entwicklung der Norm. China war Gastgeber einer Konferenz in Shenzhen, die sich mit der Norm beschäftigte. Wenn man mit den Leuten dort spricht, verstehen sie das Problem. Die Einstellung hat sich also geändert.
Welche Auswirkungen hatte dies auf Unternehmen?
Mean: Große Unternehmen sind sich durchwegs bewusst, dass sie Korruption nicht mehr tolerieren können. Früher war Bestechung in einigen Unternehmen beinahe ein Geschäftsmodell. Das ist jetzt nicht mehr der Fall.
Jean-Pierre Mean, vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Chris Schneider.
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Zur Person
Chris Schneider Associated Head of Sales

Chris Schneider war Associated Head of Sales bei der LexisNexis GmbH. Seit über acht Jahren ist er im Data & Analytics-Umfeld tätig und verfügt über einen großen Erfahrungsschatz hinsichtlich der Betreuung von Compliance-Projekten in der Finanz- und Bankenbranche. Er war bei zahlreichen Corporate-Projekten involviert.
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