Grauzone Patentierung von Geschäftsmethoden – Wie kann ein europäischer Patentanwalt eine ALICE-Ablehnung abwenden?

24.03.2017 von Sofia Georgiadi

Wir leben in einer Zeit, in der Computer menschliche Fähigkeiten ersetzen und Geschäftsmethoden nicht mehr mit menschlicher Intuition, sondern von Algorithmen geschaffen werden. Florierende europäische und US-amerikanische Unternehmen in den Bereichen Computerintelligenz und Fintech sind häufig mit einem bestimmten Problem bei ihrer IP-Strategie konfrontiert: Sind unsere Erfindungen von Software oder Geschäftsmethoden patentierbar?

Beginnen wir zunächst mit der naheliegendsten Frage, nämlich was „Alice"-Ablehnung eigentlich bedeutet. Am 19. Juni 2014 traf der Supreme Court der Vereinigten Staaten von Amerika mit seinem Urteil im Prozess Alice Corporation Pty vs. CLS Bank International eine richtungsweisende Entscheidung bezüglich der seit Langem diskutierten Frage der Kriterien für patentierbare Gegenstände, insbesondere mit Blick auf den Bereich der computerimplementierten Geschäftsmethoden.

Zum Hintergrund: Die Alice Corporation (die Patentanmelderin) wollte beim US-amerikanischen Patentamt (United States Patent and Trademark Office, USPTO) mehrere Patente anmelden, die eine computergestützte Methode zur Minderung des „Abwicklungsrisikos" bei allen Transaktionen zwischen zwei Parteien betrafen. Die Ansprüche aus dem Patent umfassten demnach Elemente, die für die Verbesserung des Austausches von finanziellen Verbindlichkeiten zwischen zwei Parteien konzipiert waren, um das Risiko einer einseitigen Zahlung abzusichern.

Die Gegnerin (CLS Bank) führte an, dass der Gegenstand gemäß Titel 35 USC § 101 (Definition patentierbarer Gegenstände) nicht patentierbar sei, da er weder eine Verbesserung der Funktionsweise des Computers selbst beinhalten noch in technischer Hinsicht „etwas zusätzliches" ergänzen würde. Das Gericht folgte der Argumentation der Gegenseite und beschrieb die Ansprüche der Klägerin als abstrakte Idee des Finanzwesens (eine Theorie ohne technische Anwendung) und damit als nicht patentierbar. Nach diesem Urteil wurde eine erhebliche Anzahl an Patenten abgelehnt oder für nichtig erklärt. So ist ein Klima der Unsicherheit für Unternehmen als Antragsteller bezüglich der Frage entstanden, wie das PTO Patentansprüche aus Erfindungen computerbasierter Methoden „liest".

Im Laufe der Jahre und obwohl das USPTO drei Leitlinien für eine Prüfung gemäß Alice veröffentlicht hat, erhielten viele Anwälte und Antragsteller zunehmend Alice-Ablehnungen von Patentprüfern.

Das EPA und das USPTO

Im Gegensatz zum US-amerikanischen Patentrecht schließt das europäische Patentrecht Patentschutz für computerimplementierte Geschäftsmethoden ausdrücklich aus. Nichtsdestotrotz werden diese Ausschlüsse nach komplizierten Überlegungen angewandt, sodass es – bei sorgfältig formulierten Patentansprüchen – immer noch möglich ist, europäischen Patentschutz für Erfindungen in einem Software- und/oder geschäftlichen Kontext zu erlangen.

Entscheidung T 0641/00 (Zwei Kennungen/COMVIK) vom 26. September 2002 (über digitale Mobiltelefonsysteme und insbesondere die Verwendung einer Chipkarte mit Mehrfachkennung für Einzelbenutzer als Teilnehmer-Kennungsmodul in einer Mobileinheit eines Systems vom GSM-Typ) gilt als Grundsatzentscheidung bezüglich der Patentierbarkeit softwarebezogener Erfindungen in Europa. Im Mittelpunkt der Entscheidung stand, dass ein Anspruch mit einer Kombination von technischen und nichttechnischen Merkmalen nach EPA-Vorschriften grundsätzlich patentierbar ist. Bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit werden jedoch nur die technischen Merkmale der Erfindung berücksichtigt.

Ein Computerprogramm „als solches" ist gemäß EPÜ keine patentierbare Erfindung (Artikel 52 (2) (c) und (3) EPÜ). Damit ein Patent für eine computerimplementierte Erfindung erteilt werden kann, muss eine technische Aufgabe auf innovative und nicht offensichtliche Art und Weise gelöst werden.Im letzten Jahr hat das EPA Softwarepatente jedoch größtenteils befürwortet.

Aus einer anderen Perspektive weisen die Patentierbarkeitsansätze des EPA und USPTO einige gemeinsame Punkte auf, die als „Koordinaten" für die Formulierung von Patentansprüchen für Erfindungen von Software-/Geschäftsmethodenimplementierungen herangezogen werden können. Es ist keine einfache Aufgabe, eine risikobasierte Strategie für eine erfolgreiche Patentanmeldung bei beiden Patentämtern zu entwickeln. Der Antragsteller muss eine effektive, systematische Antragsstrategie mit Daten zu Patentprüfern und Art Unit erarbeiten.

3 Tipps zur Abwendung einer möglichen Alice-Ablehnung

Für diesen Zweck können wir „live" sehen, wie ein EPA und USPTO-Patentanwalt/-Antragsteller seine Patentanmeldung so formulieren kann, dass ein Patent erteilt wird. Dazu stellen wir den Ansatz Schritt für Schritt dar und geben Tipps, wie eine etwaige Alice-Ablehnung vermieden werden kann.

Beispiel: Ein Erfinder möchte ein Patent für eine Erfindung im Zusammenhang mit einem System anmelden, das einen Guthabenvorschuss für ein mobiles Kommunikationsnetz gewährt. Mit der Methode, die für die Serviceplattform eingesetzt wird, wird entschieden, ob ein Teilnehmer für einen Guthabenvorschuss qualifiziert ist. Ist der Teilnehmer qualifiziert, schreibt die Methode auf einem mit dem Teilnehmer verbundenen Konto den Betrag des Guthabenvorschusses gut.

Bei Prüfung durch das EPA und das USPTO muss ein Patent die folgenden Kriterien erfüllen:

Stufe 1: Die beanspruchte Erfindung muss technische Merkmale aufweisen (EPA) oder der Anspruch darf nicht in die Kategorien des Artikels 101 (gesetzliche Kategorien von Erfindungen) fallen. Im vorliegenden Fall sprechen wir über ein System auf einem Computer. Stufe 1 kann also abgeschlossen werden.

Stufe 2: Enthält der Anspruch technische und nichttechnische Merkmale (EPA) oder enthalten die Ansprüche eine abstrakte Idee, die weiter bewertet werden muss (USPTO)? Das oben genannte Patent enthält technische Merkmale (das heißt Guthabenvorschuss-Serviceplattform je Ausführung der Erfindung, die auf zwei verteilten, von einem Cluster Manager betreuten Serverrechnern implementiert sind) und nichttechnische Merkmale (das heißt die Methode selbst). Diese Methode, die Berechnungen und die mathematischen Aspekte des Patents können von einem USPTO-Prüfer als „abstrakte Idee" bezeichnet werden.

Stufe 3: Sind die technischen Unterschiede in den Ansprüchen so dargestellt, dass – verglichen mit dem Stand der Technik – die nichttechnischen Merkmale der Erfindung eine „erfinderische Tätigkeit" (Element des Naheliegens beim EPA) darstellen oder die Ansprüche etwas „wesentliches mehr" beinhalten als nur die abstrakte Idee an sich (USPTO)?

Wenn die Ansprüche diese Kriterien erfüllen, muss das Patent erteilt werden. Der Antragsteller muss in seinen Ansprüchen beispielsweise deutlich machen, dass die theoretische Methode strikt mit den technischen Merkmalen des Systems verknüpft ist, sodass sie als unabdingbare Voraussetzung (conditio sine qua non) für den Betrieb des Systems gelten kann. Kann das nicht gezeigt werden, wird das Patent als „Alice"-Patent ausgelegt, das heißt, dass die Ansprüche den Plattformbetreiber lediglich anweisen, die abstrakte Idee der Teilnehmer-Qualifikation auf einem generischen Rechner zu implementieren.

Gründliche Vorbereitung für erfolgreiche Patentanmeldungen

Es ist offensichtlich, dass die Recherche bezüglich des Stands der Technik, die Formulierung der Ansprüche und die Art-Unit-Recherche entscheidende Faktoren für den Erfolg einer Patentanmeldung sind. Der Antragsteller muss insbesondere die folgenden Punkte beachten:

  • Gründliche Recherche der Art Units, in deren Zuständigkeit die Erfindung fallen könnte, da die Genehmigungsraten der verschiedenen Art Units sehr unterschiedlich sind. Selbstverständlich sollten auch die Genehmigungsraten der Prüfer untersucht werden. Es wurde festgestellt, dass 85 % der Fälle aufgrund des Prüfers abgelehnt werden – und die Prüfer agieren größtenteils unabhängig. Der Antragsteller einer Software-Erfindung kann also die relevanteste Art Unit ermitteln und tief greifendere Recherchen bezüglich der Genehmigungsraten anstellen und diese mit anderen potenziell zuständigen Art Units vergleichen (das Technology Center (TC) 3600 des USPTO beispielsweise ist voll von Alice-Ablehnungen).
  • Richtlinien der Patentämter lesen: Beide Patentämter veröffentlichen regelmäßig Richtlinien für das Patentanmeldeverfahren sowie für die Prüfung von Patentanmeldungen. Diese Dokumente enthalten zahlreiche Hinweise darauf, was die Ansprüche beinhalten müssen, damit ein Patent gewährt wird. In jedem Fall sind dies die Richtlinien, die auch die Prüfer bei ihrer Arbeit befolgen müssen, sodass man eine klare Vorstellung von der Argumentationslinie bei jeder Patentanmeldung bekommen kann. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Prüfer Richtlinien umsetzen, nicht aufstellen. Sie müssen in Einklang mit der offiziellen Politik des Patentamtes handeln und die Vorschriften befolgen.
  • Antrag sorgfältig formulieren: Es ist wichtig, dass Sie bei der Formulierung einer Patentanmeldung auf einer fundierten Grundlage handeln. Benutzen Sie in der Patentschrift die richtigen Schlüsselwörter, damit die Anmeldung von der gewünschten Art Unit bearbeitet wird und der Prüfer die technischen Einzelheiten des Patents versteht, sodass der Antrag nicht so einfach abgelehnt wird. Kurz gesagt: Oberstes Ziel ist es, zu versuchen, die Erfindung in den Kontext eines Hardware-Elements zu stellen, sodass die Erfordernisse eines technischen Merkmals (EPA) und einer nicht abstrakten Idee (USPTO) erfüllt sind. Unter Berücksichtigung der Konsequenzen aus der „Alice"-Entscheidung sollte der Antragsteller eine erfinderische Idee explizit herausstellen, wenn sich die Erfindung an einer abstrakten Idee orientiert.
  • Amtsblätter lesen: So kann der Antragsteller die Präambeln und Beschreibungen anderer Patentanträge untersuchen und das Klassifizierungssystem jedes Patentamts im Detail erfassen.
  • Die richtigen Tools und Experten einsetzen: Die Unterstützung eines erfahrenen und vertrauensvollen Experten für Patentfragen in Anspruch zu nehmen, kann sich als Schlüssel zum Erfolg erweisen. Patentexperten kennen die Prüfer, sind mit den Details der Formulierung einer Patentanmeldung vertraut und haben Erfahrung mit den Ergebnissen einer Patentprüfung. Außerdem wissen sie, wie die richtigen Tools für Patentdatenbanken, Archive von Patentämtern, Rechtsanwaltsdatenbanken et cetera zu benutzen sind.
  • Das Gespräch mit dem Prüfer suchen: Der Prüfer ist nicht der Gegner des Antragstellers. Seine Aufgabe ist es, die Effizienz und Arbeit des Patentamts zu optimieren. Indem etwaige Einwände des Prüfers bezüglich der Patentierbarkeit des Gegenstands sowie Angaben, um die die Ansprüche nach Ansicht des Prüfers ergänzt werden sollten, besprochen werden können, kann dieser Ansatz dazu beitragen, eventuelle Probleme zeitnah, effektiv und effizient zu beheben.

Wegbereiter für Innovationen oder Monopolrisiko?

Allgemein haben Patente für Software und computerimplementierte Geschäftsmethoden seit vielen Jahren, und besonders seit der Alice-Entscheidung, auf beiden Seiten des Atlantiks viel Aufmerksamkeit erfahren. Einige Skeptiker der Softwarepatentierung behaupten, ein ganzer technischer Bereich könne monopolisiert werden.

Demgegenüber kann die Gewährung von Softwarepatenten in Europa und in den USA als Innovationskatalysator für Start-ups betrachten werden. In jedem Fall ist die Formulierung eines Softwarepatents, das sich gegen Alice-Ablehnungen behaupten kann, eine große, aber nicht unmögliche Herausforderung. Wenn der Antragsteller die Ansprüche sorgfältig formuliert und die Ansichten des Prüfers berücksichtigt, kann ein Patent erteilt werden.

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